17.09.2011 - Yosemite Valley 2010, 10mal El Capitan
 
Es ist zwei Uhr nachts, eine laute grobe Männerstimme weckt mich aus meinen Träumen. ' Come out of your tent! Hands on the ground! No shoes!' - Mein erster Gedanke war, Samuel hat mal wieder nicht für unser Zelt im Camp 4 bezahlt. Ich entscheide mich einen Blick aus unserem Zelt zu wagen. Ich erblicke einen Polizeiwagen mitten im Camp 4, sechs Cops bewaffnet mit Maschinenpistolen umkreisen ein Zelt. Eine junge Frau wird in Handschellen abgeführt. Nun ist auch unser Nachbar Lerjen Michi wach und ruft uns zu: Jungs! Was ist los? Habt ihr nicht für euer Zelt bezahlt!?
Am nächsten Tag erfahren wir, dass die junge Frau eine Waffe besitzt haben soll. Mehr erfahren wir nicht. Wen die amerikanische Kultur interessiert und solche eigenartigen Stories erleben will, oder sich denn ganzen Tag von Rangern sagen lassen will: You are not allowed to do, ..., ..., ..., ..., .... der ist im Yosemite Village genau richtig. Allen andern empfehlen wir, so schnell wie möglich in einen der zahlreichen Bigwalls einzusteigen. Verlässt man den Valleyfloor mit seiner unglaublichen 'Tourismusindustrie', befindet man sich schnell in einem der schönsten und wildesten Täler dieses Planeten.
Gesagt - getan. Im Dunklen steigen wir in 'Mescalito' ein. Diese Route befindet sich im steilsten Teil des El Capitan. Falls einem mal ein Karabiner aus der Hand entgleitet, was hin und wieder passiert, landet dieser weit draussen im Wald. Dies in jeder der 26 Seillängen, dieser A3-Route. Andere Kletterer beobachten uns. Sie fragen sich, wo haben diese Jungs ihr Portaledge? Richtig - wir sind ohne Portaledge in diesen vertikalen ' Granitkilometer' gestartet. Bei Seillänge 18 befindet sich die einzige mögliche Biwakmöglichkeit ohne Portaledge, eine wunderbare Felsterrasse von etwa drei Quadratmeter Fläche. Wir müssen es im ersten Tag bis zu diesem Biwak schaffen, ansonsten schlafen wir hängend im Klettergurt. 
Noch bei Tageslicht erreichen wir das Biwak. Gönnen uns zehn Stunden Schlaf und steigen nach nur Eineinhalb Tagen aus der Wand. Wir sind müde und die Finger schmerzen. Der Hammer hat nicht immer nur den Haken getroffen. Wir sind nicht mehr motiviert zum Aidclimbing. Die nächste Schlechtwetterperiode kündigt sich an. Noch ein schöner Tag bis zum Regen. Wir entscheiden uns für die Nose. Diese Tour muss man nicht weiter vorstellen. Es ist der 'Kilometro Lancato' ,'die Streif' oder der '100m Sprint' der der Kletterer. Yuji Hiharama und Hans Florine kletterten diese Tour in 2 Stunden 37 Minuten, also sollten wir es in einem Tag schaffen. Wir klettern wie bis anhin mit 'Shortfixing'-Technik. Einer steigt vor. Erreicht den Stand, fixiert das Seil. Der Zweite folgt mit den Jumars am Seil. Während der Erste bereits mit viel Schlappseil weiter klettert. Diese Technik ist schnell, effektiv und riskant. Nach 5 Stunden 50 Minuten erreichen wir den Gipfel des El Cap. Wir sind meilenweit von der Rekordzeit entfernt. Es war für uns beide erst das zweite Mal in dieser Tour. Wir kletterten die Nose bereits vor fünf Jahren. Hans Florine kletterte die Nose 65 Mal, bevor er zusammen mit Yuji den Rekord geknackt hat. Auch die Huberbuam benötigten 18 Versuche für die zweitschnellste Zeit. 
Wir sind zufrieden mit unserer Leistung und finden, dass diese Zeit für zwei Zermatter Bergführer ok ist. Bei Regen gönnen wir uns endlich eine Pause. Nach dem Regen haben wir fünf weitere Tage Zeit im Valley. Wieder ist der Wetterbericht mehr schlecht als recht: drei Tage 20% chance of showers und dann 100% chance of rain. Am ersten Tag klettern wir die legendäre Salathé-Route in 9 Stunden. In unseren Hinterköpfen schlummert noch eine Tour, die wir gerne machen würden, bevor wir die Heimreise antreten: Den Halfdome-Nose Linkup ( 54 Seillängen ). Doch der Himmel ist grau und die Salathe sitzt noch in den Knochen. Ein Ruhetag wäre nötig. Doch die Wetterfront ist im Anmarsch, Cirren kündigen den Wetterwechsel bereits an. Wir entscheiden uns, dass wir es wenigstens Versuchen sollten. Wir steigen hoch zum Wandfuss der 800m hohen Nordwestwand des Halfdome. Der Gipfel ist in dunkle Wolken gehüllt. Wir sind uns einig, dass unsere Motivation wieder einmal grösser war als die Einsicht. Der Wecker klingelt um 4 Uhr , der Himmel ist grau. Wir essen Frühstück und kriechen wieder in unsere Schlafsäcke. Um sechs Uhr sieht es besser aus und wir steigen ein. Das Wetter hält noch. Samuel versteigt sich in den ersten Seillängen im Dunkeln. Verschiedene Fluchwörter auf englisch und walliserdeutsch wiederhallen in der Wand. Ich führe den zweiten Block ab Seillänge 16. Exakt vier Stunden benötigen wir für die Nordwestwand des Halfdome. Zu Fuss steigen wir die 1200 Höhenmeter durch unwegsames Gelände wieder ins Tal. Nach zwei Stunden stehen wir am Einstieg der Nose. Hält das Wetter noch? Go! Windböen machen alles ein bisschen mühsamer. Weit und breit ist kein Mensch mehr am El Capitan. Ausser über uns am Great Roof sehen wir ein paar Kletterer. Als wir näher kommen erkennen wir die Kletterer. Dean Potter und sein Partner studieren die Seillängen ein, um den Rekord zu brechen? Alex Honold macht Filmaufnahmen mit seinem Team. Sie feuern uns an. Es motiviert uns, dass wir zusammen mit diesen Kletterstars die einzigen Leute am El Cap sind. Doch wir sind ziemlich kaputt: Im letzten Monat haben wir Westface, Lurking Fear, Zodiac, Tangerine Trip, Lost in America, North American Wall, Mescalito, Nose, Salathe und nun den Linkup Halfdome-Nose geklettert. Man fragt sich warum? Und warum jetzt alle auf einmal auf Zeit klettern? Doch wer schnell klettern kann, kann auch mehr Wetterfenster nützen und dies kann in Patagonien, Pakistan und den Alpen matchentscheidend sein. Wir stehen nach 11 Stunden 50 Minuten auf dem Gipfel des El Capitan. Und es fängt bald an zu Regnen. Zum Glück haben wir ein bisschen vorwärts gemacht. 

Simon Anthamatten